Fassade (2001)
Statt jedoch ein Resümee ihres zehnjährigen Schaffens zu veröffentlichen, haben Lacrimosa mit ihrem neuen Album „Fassade“ ihr bislang größtes Werk in Angriff genommen.
Am 01.01.2000, nach der Rückkehr von ihrer „Elodia“-Tournee und dem abschließenden Millenniumskonzert, begann Tilo Wolff mit der Niederschrift erster Gedanken und Layouts für ein neues Album. Während sich das Konzept, das ihm vorschwebte, zunehmend verdichtete, konnte er sich in den folgenden Monaten auf die wohl wichtigsten Produktionsphasen konzentrieren: dem Komponieren, dem Arrangieren und dem Orchestrieren. Im Herbst des gleichen Jahres begann die Planungsphase, in der ein Produktionsablauf sowie die zu engagierenden Musiker, Orchester und Tonstudios bestimmt wurden. Im Januar 2001 lud Tilo Wolff einen Großteil jener Musiker zu diversen Vorspielterminen und wählte die endgültige Besetzung aus, die ab Februar unter seiner Regie das nächste Lacrimosa Album einspielen sollte.
Nach fünfmonatiger Studiozeit in Hamburg und Berlin ist nun eine infernale Symphonie entstanden, die von der Stellung, der Behauptung und dem Niedergang des einzelnen Individuums in der modernen Gesellschaft erzählt und in der Durchleuchtung der menschlichen Psyche und der Auseinandersetzung mit religiösen Aspekten seine Eckpunkte findet. Musikalisch setzt „Fassade“, nebst dem Einsatz eines Chors, verschiedener Orchester und diverser Musiker der Hamburger und Berliner Staatsoper, vor allem durch seine fremdartigen, harten wie auch melodiösen und detailliert arrangierten Kompositionen gänzlich neue Maßstäbe. Dabei dominieren insbesondere die Sätze eins bis drei der Titel gebenden Werke „Fassade“, deren Themen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Album ziehen, wobei sich aus jedem einzelnen Satz ein eigenes musikalisches Thema entwickelt, welches mit den jeweiligen, inhaltlichen Aspekten verbunden ist. Bei weiterer Betrachtung fällt auf, daß auch „Liebesspiel“ eine musikalische Verwandtschaft zu der „Fassade“-Trilogie aufweist, da der Refrain dieser ungewöhnlichen Mischung aus treibendem Rocksong und verminderter Oboensonate das Schlußthema des dritten Satzes der „Fassade“ vorweg nimmt.
Inhaltlich gesellt sich „Liebesspiel“ jedoch zu „Stumme Worte“, einem Präludium für Klavier und Kammerorchester, sowie zu dem als Single bereits veröffentlichten „Der Morgen danach“, das seinerseits den Bogen zu dem vorangegangenen Album „Elodia“ und dessen finalen Titel „Am Ende stehen wir zwei“ schlägt. Musikalisch steht „Der Morgen danach“ in bester Lacrimosa-Tradition, verbindet es doch das melancholische Grundgefühl mit einer sehnsuchtsvollen Aufbruchsstimmung, deren geballte Energie den Hörer in dem Masse beflügelt, wie sie ihn gleichwohl in dem Titel „Warum so tief?“ durch die getragenen Trompetensoli und die Intensität des Gesangs von Tilo Wolff unvermittelt bannt und nahezu lähmt.
Das Ausbleiben eines Orchesters und die unerwartete, musikalische Wendung zum Ende des Titels erinnern an das zuvor gehörte „Senses“, wobei Letzteres am eindrücklichsten die Vielseitigkeit dieses Albums verdeutlicht. Nicht nur, daß Anne Nurmi ihre Lyrik mit engelsgleicher Stimme in englischer Sprache vorträgt, auch besticht dieser Titel durch eine, für unsere Zeit fast luxuriöse Ruhe und Geduld, um sich ganz unmerklich zu einem warmen Klangregen zu entwickeln, der den Hörer in ein Meer der Gefühle taucht und ihn mit der Flut entführt.
So haben Lacrimosa auf bemerkenswerte Weise den Spagat vollzogen, sich auch auf ihrem siebten Studioalbum neu zu erfinden, ohne jedoch ihre typische und ureigene Handschrift zu verlieren.
PRODUKTION:
Text, Musik, Arrangement, Orchestrierung und Produktion von Tilo Wolff
außer „Senses“: Text & Musik von Anne Nurmi
Aufgenommen von Februar bis Juni 2001 in den Impuls Tonstudios, Hamburg
und Scoring Stage, Berlin
LINEUP:
Tilo Wolff: Gesang, Klavier, Programming
Anne Nurmi: Gesang, Keyboards
Jay P.: Gitarren, Baß
AC: Schlagzeug
Manne Uhlig: Schlagzeug
Raphaela Mayhaus: Solo Sopran
Ursula Ritter: Solo Alt
Das Rosenberg Ensemble: Chor
Die Spielmann-Schnyder Philharmonie
und das Deutsche Filmorchester Babelsberg
Solisten:
Björn Westlund: Flöte
Thomas Rohde: Oboe
Larry Elam: Trompete
Stefan Pinter: 1. Geige
Rodrigo Reichel: 2. Geige
Dimitri Hoffmann: Bratsche
Christof Groth: Cello
Katharina C. Bunners: Kontrabaß